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Vonêche and Beyond

Zur "Neuauflage" der Nullserie - im Sommer 2007

(mit Textergänzungen vom 23. März 2008 und 10. Dezember 2008)

Aus den zweidrei Dutzend Stücken sind in den letzten Jahren sechssieben Dutzend geworden, und die Sammlung wurde immer unübersichtlicher.

Einige wichtige neue Bücher über belgische
Glashütten sind erschienen. Ein großartiges Buch, das vor über 30 Jahren veröffentlicht wurde, habe ich erst vor kurzem kennengelernt.
Interessante
Musterbücher und Tarife belgischer Kristallerien, die verborgen in Archiven lagen, sind ans Licht gekommen.

Eigentlich ist das Kapitel ein eigenes "Buch" geworden. Deshalb habe ich auch eine neue Einteilung vorgenommen. Sie folgt nicht der in den anderen Kapiteln, sondern orientiert sich  an alten Musterbüchern.
Die Objekte wurden neu fotografiert und die Beschreibungen  auf den neuesten Stand gebracht.
Die neu erwähnten Glashütten werden in nächster Zeit vorgestellt.
Ein weiterer Text wird sich mit den "neuen" Katalogen und Tarifen beschäftigen.

05.28 Sahnekännchen-Cremier

Es ist nicht  mehr nur  Preßglas im strengen Sinne (s. Franke, "Preßglas- der Prozeß der Mechanisierung...", a.a.O., S. 154, Fn.1: "Der Begriff Preßglas ist auf das mit dem Stempel in die Form gepreßte Glas zu beziehen und ist abzugrenzen von dem formgeblasenen Glas, bei dem die Luft als treibende Kraft dient.").
Alle nachweisbaren Stücke finden sich in den Katalogen und Tarifen in einer eigenen  Abteilung "Moulure en plein" oder "Cristaux moulés en plein".
Der Begriff " moulure en plein" wird zum ersten Mal im Bericht der Pariser Gewerbeausstellung von 1827 erwähnt im Zusammenhang mit der Prämierung von Baccarat. (Siehe Rapport 1827-pp. 455-6). ->
Rapport sur les produits de l'industrie française ...Paris, 1828, S. 455.

Worum es sich handelt, wird in dem Bericht nicht gesagt. Vielleicht war Baccarat  nicht daran interessiert, Details zu diesem neuen Verfahren preiszugeben.

Man müßte "Moulure en plein" etwa mit "mit Muster geformt" übersetzen.

Sehr wahrscheinlich beruht das Verfahren auf der Verwendung der Robinet-Pfeife. S. dazu den Artikel von Frau Mucha in The Glass Club Bulletin vom September 1979 und  Péligot (a.a.O., S. 401/2) und  Bontemps, a.a.O., S. 591f.

[Péligot a.a.O: "L'emploi des moules métalliques n'est possible que pour faire des objets unis ou n'ayant que des reliefs horizontaux qui permettent le mouvement de rotation imprimé à la canne:...S'il s'agit d'obtenir des pièces avec des dessins compliqués et des reliefs dans tous les sens, les moules en fonte dont on fait usage s'ouvrent en autant de parties qu'il est nécessaire;mais le mouvement de rotation n'étant plus possible, on a recours à un autre moyen: la compression de l'air avec une pompe d'une construction très-simple. Cette pompe a été inventée en 1824 par un ouvrier souffleur de Baccarat nommé Robinet ..."(S. 401)

Und:"À l'aide de ce procédé on obtient toutes les formes désirables, rondes, ovales, carrée, etc. Pour les objets de petite dimension on peut obtenir plusieurs exemplaires avec un seul coup de piston." (S. 402).]

Dies würde jedoch nur für diese frühe Zeit gelten. Nach 1834 (s.u.) dürften die meisten Objekte , mit Ausnahme der  Karaffen und Flacons, stempelgepreßt sein.

In den Katalogen , die mir vorliegen,  werden bis in die 40er Jahre  die Begriffe "moulure en plein" bzw. "cristaux moulés en plein" weiterhin verwendet, auch wenn es sich eindeutig um  stempelgepreßte Ware handelt. (S. Katalog Launay Hautin 1841 und Tarif Val-Saint-Lambert 1843 und 1847).

Aus der Zeit vor oder um 1830 stammen 3 undatierte Preislisten, die jeweils eine eigene Abteilung "Moulure en plein" enthalten. Die älteste trägt den Titel TARIF des CRISTAUX de M. d'Artigues. Propriétaire des Verreries et Etablissements de Vonèche. Imprimerie Bachelier fres. Paris.

Titel verkleinert

Die einzelnen Blätter scheinen ungeordnet zu sein. Ein Vergleich mit den beiden anderen Tarifen ermöglicht eine genaue Kollationierung. Er besteht aus 3 Teilen, der 1. umfaßt einfache oder geschliffene mundgeblasene Stücke; der 2 und 3. Teil sind weitgehend identisch und unterscheiden sich in der Anzahl der Gegenstände. Sie enthalten Glaswaren in "Moulure en plein". Der umfangreichere Teil mit 6 Seiten ([20], [22], [19], [9], [26] und [27] der Corning Kopie) muß zusammen mit dem 1. Teil entstanden sein, wie ein Vergleich der verwendeten Schreibschriften beweist. Er erscheint - zusammen mit Teil 1 - mit einem neuen Titelblatt als TARIF des CRISTAUX des Verreries de L. ZOUDE & Cie. à Namur. Der 3. Teil des d'Artigues-Tarifs, der aus 4 Seiten besteht und weniger Objekte enthält, taucht wieder auf im 2. Tarif der Kristallerie von Val-Saint-Lambert. Philippe (a.a.O., S. 87) datiert diesen Tarif auf 1830/31, nach der Schließung von Vonèche. Dieses Datum dürfte auch für den Zoude-Tarif gelten.

Mit Ausnahme eines Wassersatzes (Verres d'eau), der in beiden "Moulure-en-plein"-Teilen, allerdings mit unterschiedlichen Dekoren, erscheint, ent-halten die Tarife keine Service, sondern nur einzelne Teile, die in späteren Tarifen/Katalogen im "Service à Bambous", "Service à Diamants et Feuilles", "Service moulé à raies", "Service à carrés de diamants et filets" und "Service moulé à diamants biseaux" von Baccarat, Saint Louis und/oder Val-Saint -Lambert wieder auftauchen. Auch gibt es allgemein nur eine Größe für Karaffen oder Becher, mit einer Ausnahme: "Gobelets Cylindriques, à Bambous taillés à perles" (S. [20]) werden in 8 Größen angeboten.

Die Weiterentwicklung des  Pressens in Frankreich muß zwischen 1827 und 1834 stattgefunden haben. Im Bericht  der nationalen Gewerbeausstellung in Paris von 1834 wird eine neue Technologie bejubelt, "le moulage...par une forte pression", als ein "großer Fortschritt ... seit der letzten Ausstellung" [1827] und "ein wahrhaft industrielles Verfahren"(a.a.O., S. 393).

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Die in meiner Sammlung vorgestellten Stücke sind außen, bis auf eines, mit sehr scharfen Abdrucken des Dekors versehen. Innen läßt sich, wenn möglich, das Dekor schwach ausmachen, aber nicht so deutlich wie bei mundgeblasenen. Die Ausnahme ist das Sahnekännchen 05.29 (siehe Foto unten).

Die Spitzsteinel (diamants) auf der Außenseite und unter der Fußplatte sind stumpf, die Blattformen (oder Schuppen) und die senkrechten Kerben sind innen deutlich fühlbar, selbst die einzelnen Spitzsteinel sind innen noch als kleine Vertiefungen zu erkennen. Das Kännchen muß in die Form geblasen sein mit Lungenkraft, und, sehr wahrscheinlich, in einem Stück.

Die Höhlung im Innern reicht in die Fußplatte hinein, die senkrechten Kerben des Mittelteils werden auf der Fußplatte weitergeführt, der obere Rand zeigt noch die Spuren der Schere, mit der das überschüssige, noch nicht hart gewordene  Glas abgeschnitten wurde. Die weitere Bearbeitung durch den Glasbläser, nachdem das Stück aus der Form genommen wurde, ist Schritt für Schritt auf Seite 24 im Buch der McKearins dargestellt.

05.29-Sahnekännchen02

Ein weiteres Charakteristikum dieser frühen Stück ist, dass sie z. T. aufwendig beschliffen sind. Da die geblasenen Stücke, egal, ob frei- oder formgeblasen, eine Kappe/ Kalotte hatten, die entfernt werden musste, bilden die oberen Ränder eine glatte gerade Linie.

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* Obwohl die französischen Hütten im Verlauf  des 19. Jh. das böhmische Verfahren der  décalotage übernommen und weiterentwickelt hatten, - die Kalotte wurde an der Stelle, wo sie abgetrennt werden sollte, erhitzt und dann durch plötzliche Abkühlung abgesprengt - dürfte bei unseren Stücken das alte Verfahren, Abtrennung mit Hilfe der  Schere , beibehalten worden sein. S. Péligot, S.414: "...les services de table courants, dont les bords ont une certaine épaisseur, ne se prêtent  pas à ce genre [bohémien] de décalotage;..." (A.a.O., S. 414)

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Die meisten Teller und Schalen haben deshalb einen glatten Rand ("bords unis"). Zusätzliche Randverzierungen ("bords festonnés" oder "bords dentelés") mußten vom Glasschleifer angebracht werden. S. Schale 03.06.

Viele Karaffen sind an Schulter und Hals facettiert ebenso wie die Ringe ("cordons"), die manchmal eingeschliffene Kerben haben. Die Likörkaraffe 01.13 wurde in der Form möglicherweise gänzlich mit waagrechten schmalen Ringen versehen, die danach in der Schleiferei bis zur Schulter durch senkrechte Facetten unterbrochen wurden. Die Linsen beim Dekor "bambous" (in den belgischen Tarifen "bambous à perles") sind alle eingeschliffen. Grundplatten oder Standringe sind immer überschliffen.


Der Stöpsel zur Likörkaraffe 01.14 ist ein kleines Kunstwerk für sich:

stöpsel im kreis

Zum Schluß möchte ich mich noch bei allen bedanken, die mir Material zur Verfügung gestellt haben; zu allererst Herrn Dr. Manfred Franke und Herrn Siegmar Geiselberger für die Launay Hautin Kataloge. Ganz besonders bedanke ich mich bei Maja und Björn, die mir im Smålands Museum in Växjö die Glasschätze ihres Museums - auch die im Verborgenen - vorgestellt haben und mir großzügig Auskunft und Material über die schwedische Glasfabrikation im 19. Jahrhundert gegeben haben.

Das Victoria & Albert Museum in London hat die 5 frühen Tarife/Kataloge von Val Saint Lambert in Fotokopien überlassen.

Der Rakow Library des Corning Museums verdanke ich die Kopie des d'Artigues Tarifs.
Die 3 wichtigsten Bücher über belgisches Glas sind häufig konsultiert worden und werden immer wieder zitiert:

  • Joseph Philippe, Le Val-Saint-Lambert. Ses cristalleries et l'art du verre en Belgique. Liège, 1974.
  • Jacques Toussaint, Hrsg., Bicentenaire de la cristallerie de Vonêche 1802-2002. Namur, 2002.
  • Jacques Toussaint, Hrsg., Patrimoine verrier en Namurois. Namur, 1997.

Und last not least sei das material- und kenntnisreiche und großartig illustrierte Buch von

  • Fernando Montes de Oca, L'âge d'or du verre en France 1800-1830. Verreries de l'empire et de la restauration. Alençon, 2001

dankend erwähnt. Das Conservatoire National des Arts et Métiers (CNAM) hat wichtige Texte zur Glasgeschichte ins Internet gestellt.

Den größten Nutzen zog ich aus den Büchern der beiden Altmeister Bontemps und  Péligot:

  • Georges Bontemps, Guide du verrier. Traité historique et pratique de la fabrication des verres, cristaux, vitraux. Paris, 1868.
  • Eugène Péligot, Le verre. Son histoire, sa fabrication. Paris, 1877.

(Die Vorstufe zu dem Buch von Péligot, "Douze leçons sur l'art de la verrerie", die zuerst in den Annales du Conservatoire des Arts et  Métiers (Jan 1862) veröffentlicht wurden, ist im Internet zu finden unter http://hdelboy.club.fr/verrerie_peligot.html ).

 

 

Hinweis des Webmasters: Die alte Nullserie bleibt bis auf weiteres “stehen”...

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© Copyright 2001-2009 Simon Becker.  Stand dieser Seite: Samstag, 3. Januar 2009